Olvar

Dröhnendes Schweigen

written by me, published here on 2021-03-18

Eine ganze Branche ist von akutem Untergang bedroht: Musiker, Schauspieler, Techniker, Caterer, Verleiher, Clubs, Theater, Festivals, usw. Insgesamt eine unfassbare Menge von Menschen, die seit über einem Jahr ganz oder teilweise ein Berufsverbot haben. Gegenwehr? Kaum. Zuviel Angst. Sich selbst ins Aus zu befördern. Keine Aufträge mehr zu bekommen. Der Cancel Culture anheim zu fallen. Aber sogar die eigene Existenz zu gefährden? Wo ist da der Sinn? Und trotzdem geht man sich gegenseitig an den Kragen, Solidarität zählt nicht allzuviel und Kulturschaffende werden eilfertig denunziert.

Aber es regt sich auch Widerstand. Im folgenden einige Artikel zum Thema aus den letzten Monaten:

Das Auferstehen der Kultur: Die Kunst- und Kulturszene kämpft gegen ihren Untergang durch die Lockdown-Politik. Dabei verfällt sie entweder in eine trotzige Widerstandshaltung oder in bittstellerisches Gebaren. Keines von beiden zeugt von Selbstbewusstsein. Vielmehr sind beide Varianten Ausdrucksformen eines Niedergangs der Kulturlandschaft, in welcher die Kunstschaffenden sich vom Schöpfungsprozess — um den es im Kern geht — getrennt haben. Kunstwerke werden in ein engmaschiges Raster gepresst und nach monetären Kriterien bewertet. Diese materialistische Sichtweise verkennt das eigentliche Wesen der Kunst. Denn alles ist Kunst, das Leben ist ein einziger Ablauf künstlerischer Schöpfungsprozesse. Es ist an der Zeit, die Kunst des Lebens neu zu erlernen. Kreativität sollte sich nicht „nur“ auf die Schaffung von Kunstwerken reduzieren, sondern in allen Lebensbereichen zur Anwendung kommen. Dies würde uns nicht nur dazu verhelfen, die derzeitige Krise zu überwinden, sondern uns auch wieder auf den Weg zu begeben — heraus aus der Tiefkultur in eine neue Hochkultur. Mit Céline von Knobelsdorff, der Initiatorin von „Kultur steht auf“, sprach Jugendredakteur Nicolas Riedl über die dringend notwendige Auferstehung der Kultur.

Guido de Gyrich: Wo seid ihr alle hin?: In der Szene etablierter, sonst durchaus „rebellischer“ Rockstars und Liedermacher geht es derzeit stiller zu als hinter den Mauern eines Schweigeordens. Wenn überhaupt etwas ertönt, dann Kritik an den Kritikern der Corona-Maßnahmen der Regierung. Eher noch wird ein Armin Laschet unversehens zum Corona-Rebellen als Niedecken, Grönemeyer & Co. Das ist traurig und befremdlich. Jetzt wurde den wortkargen Künstlern sogar ein Lied gewidmet – und das nennt Namen. Man muss dem Text jedoch sorgfältig folgen und über ein Grundwissen der „Szene“ verfügen. Dann stellt man fest, dass Guido de Gyrich seine Protagonisten sehr klug an ihren eigenen Ansprüchen misst. Stichwort: „Sei wachsam!“ Ein süffiger Rocksong ist es überdies.

Farbe bekennen: „Die Kunst geht nach Brot“, schrieb Lessing. Bisher schweigen die vereinten Künste weitgehend zu dieser Krise oder passen sich sogar an. Wie ist das möglich? Sollten nicht sie, die jahrzehntelang mit Lesungen, Inszenierungen, Verfilmungen und kritischen Kunstwerken vor Faschismus und Despotismus warnten, die Ersten sein, die erkennen, was gespielt wird und wovon mit der sogenannten Coronakrise abgelenkt wird? Aber Kunst und Macht waren einander stets verbunden. So wird die Kunst stillschweigend zum Erfüllungsgehilfen der Machthaber. Es sei denn, sie bedient sich der Widerstandsstrategien, die zu allen Zeiten in den Werken großer Meister beobachtet werden konnten. Zuletzt konnten wir dies hautnah anhand der subversiven Kulturgebräuche der DDR erleben. Es ist an der Zeit für Kunstschaffende, sich aus den Fängen der Abhängigkeit zu befreien und nicht länger am Gängelband der Machtideologie zu hängen. Diesen dienen Künstler nur als Statussymbol und zur Unterhaltung der Massen. Die Reduktion auf den reinen Marktwert höhlt sie von innen aus und macht sie gefügig. Betrachtungen aus der Sicht des Schauspielers Hans Kremer.

Das Schweigen der Mitschuldigen: „Diese Künstler! Sie lassen Auftrittsverbote und Corona-Terror einfach über sich ergehen, verkriechen sich schweigend und weigern sich, aufzubegehren — wie wir es eigentlich von ihnen hätten erwarten können.“ — Ja, für die meisten Künstler stimmt dieses Klischee. Aber wie steht es mit uns, dem Publikum? Haben wir auch nur einen Finger gerührt, um unsere Künstler — unsere Musiker, Kabarettisten, Theaterschauspieler und andere Live-Performer — wiederzubekommen? Haben wir Protestbriefe an Politiker und ermutigende Botschaften an uns bekannte Kulturschaffende verfasst? War es nicht viel bequemer, Netflix und YouTube glotzend auf dem heimischen Sofa zu sitzen? Und die Wahrheit ist noch frustrierender: Viele Künstler machen den Mund nicht auf, weil sie Angst vor uns haben — vor einer gehirngewaschenen Öffentlichkeit, die scheinbar überwiegend mit den Corona-Maßnahmen der Regierung konform geht. Wer zum „Corona-Leugner“ erklärt wird und wegen der sich daran anschließenden öffentlichen Hetzjagd auch nur einen Teil seines Publikums verliert, für den könnte dies das Aus bedeuten. Daher lautet die Botschaft des Autors an alle Künstlerinnen und Künstler: Wenn Ihr nichts tut, kommt das Aus sowieso! Ihr könnt auch durch Schweigen Publikum verlieren. Und die Botschaft an „alle“: Zeigt den Verantwortlichen, dass Ihr Eure Kulturschaffenden liebt und sie wiederhaben wollt! Dass ein Leben ohne Live-Kultur für Euch schlicht unvorstellbar ist, wohl aber ein Leben ohne Grundrechtsentzug und Hygieneregime. Zeigt es vor allem den Künstlern selbst!

Brotlose Kunst: Brotlose Kunst. Dieser Begriff ist immer schon – auch vor Zeiten der Pandemie – als ironisch, sarkastisch gemeintes Mittel der Geringschätzung gegenüber Kultur- und Kunstschaffenden verwendet worden. In der Pandemie wird der Freud’sche Versprecher täglich schmerzhaft spürbar, denn als systemrelevant gelten Menschen der Muse eher nicht. Doch die Künstler sind wichtig, sagen sie, sie begehren auf und machen auf sich aufmerksam – wie zum Beispiel der Sänger Dirk Zöllner. Von Frank Blenz.

Die Entmystifizierung der Kulturschaffenden: Seit Beginn dieser Krise kein Aufbäumen, keine kritischen Fragen. Nichts. Das grosse Nichts. Warum ist das so? - Betrachtungen eines Kulturveranstalters.

Das Schweigen der Künstler: „Verdamp lang her“, dass sich der BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken als wachsamer Berufsrebell inszeniert hatte, der — wie in „Kristallnaach“ dargestellt — den Faschismus schon in seinen Anfängen erkennt und bekämpft. Heute betätigt sich der Kölschrock-Veteran ebenso wie sein Kollege Udo Lindenberg vor allem als Niedermacher. Beide kanzelten Kritiker der Corona-Maßnahmen als „Leugner“ und geistig verwirrte „Aluhüte“ ab. Auch die Ex-Idealisten Max Uthoff und Claus von Wagner, Moderatoren der „Anstalt“, leisteten tapfer Widerstand — vor allem gegen den kritischen Virus-Experten Dr. Wolfgang Wodarg. Was ist eigentlich los mit unseren „Linksintellektuellen“ und kritischen Künstlern? Warum stärken sie das Narrativ der Regierung und begnügen sich mit einem eingebetteten Rebellentum? Stecken dahinter Sorgen um ihre materielle Existenz?

Die unrettbare Kultur: Kunst und Kultur werden im Zuge der Corona-Plandemie ins Abseits gedrängt. Viele der Menschen, die in diesen Bereichen ihr tägliches Brot verdienen, hoffen ihren Untergang abwenden zu können, indem sie klare Forderungen an die Politik stellen, unerfüllbare Hygienekonzepte zu erfüllen versuchen und sich von „den falschen Menschen“ distanzieren. Dabei sind es gerade jene Menschen, die sich auch um die Rettung der Kunst und Kultur in diesem Lande bemühen. Doch es entsteht immer mehr der Eindruck, als wolle sich die Szene der Kunst- und Kulturschaffenden hierzulande gar nicht retten lassen, zumindest nicht von den „Falschen“. Stattdessen gefallen sich viele Künstler in einer unterwürfigen und bittstellerischen Haltung gegenüber den Tätern des Corona-Regimes. Dabei begegnen sie Kritikern der Maßnahmen abweisend, die auch um ihres eigenen Kulturbedürfnisses willen die Betriebe und Kulturstätten retten wollen. Diese Blindheit rührt zu großen Teilen auch daher, dass die Vielfalt in Kunst und Kultur enorm abgenommen hat. Durch „Cancel Culture“ sowie das Primat der Political Correctness ist die Kunst steril und damit gegenüber kulturvernichtenden Kräften immunschwach geworden.

Versöhnlicher Quertreiber: Im August trat der Kabarettist Florian Schroeder bei einer Querdenken-Demonstration in Stuttgart auf. Sein erklärtes Ziel war, einen inhaltlichen Austausch zwischen den Kritikern der Regierungsmaßnahmen auf der Straße und ihm „aus dem Mainstream“ herzustellen, also „Dialektik zu praktizieren“. Dabei hat er die Demonstranten natürlich auch an der Nase herumgeführt und gelegentlich auf die Schippe genommen — wie es von einem Satiriker nicht anders zu erwarten war. Viele Demonstranten nahmen ihm das übel. Doch im Grunde ist Schroeder während der Demonstration und auch später in den Medien versöhnlich aufgetreten. Jetzt ist es an uns, uns solidarisch zu zeigen, denn Schroeder tritt als Mitunterzeichner eines wichtigen Brandbriefes für die Kunst- und Kulturszene ein, die durch den zweiten Lockdown im November stark gefährdet ist.